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Bericht vom 24. Konvent der Evangelischen Zehntgemeinschaft in Neudietendorf

In diesem Jahr haben wir in der Evangelischen Zehntgemeinschaft mit einer alten Tradition gebrochen: unser Konvent hat erstmals nicht in Jerichow stattgefunden! Bereits vor zwei Jahren hatten wir zu einem Konvent nach Neudietendorf eingeladen, der dann aber wegen der Corona-Pandemie ausfallen musste. In diesem Herbst nun fand der 24. Konvent der EZG vom 20. bis 22. Oktober in Neudietendorf bei Erfurt statt. Das Zinzendorfhaus, das eng mit der Herrnhuter Brüdergemeine verbunden und inzwischen eine Tagungsstätte der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland ist, beeindruckt durch seine Geschichte und seine besondere Atmosphäre. Tagen, Essen, gemütlich Beisammensein, Schlafen – alles war an einem Ort möglich. Unsere Andachten haben wir nebenan im Kirchensaal der Brüdergemeine gefeiert, der im schlichten spätbarocken Stil der Herrnhuter errichtet wurde, ganz in weiß. 33 Personen haben am Konvent teilgenommen, leider mussten sieben weitere kurzfristig absagen, nicht zuletzt wegen Corona.

Teilnehmer vor dem Zinzendorfhaus

Nach dem Kaffeetrinken und einer Vorstellungsrunde verlief der Erfahrungsaustausch über die Gastdienste dieses Mal in wechselnden Gruppen, die sich jeweils nach unterschiedlichen Gesichtspunkten bildeten. So kamen viele über ihre Erfahrungen miteinander ins Gespräch, auch wenn sie sich bisher noch kaum kannten.

Am Abend stellte Frau Greim-Harland ihre Arbeit als Beauftragte der Ev. Kirche in Mitteldeutschland für den geistlichen Dienst im Ruhestand vor. „Die Not wird größer“, sagte sie und verwies darauf, dass die Zahl der Pfarrer/innen im Ruhestand mit 972 inzwischen größer ist als die der aktiven Pfarrer/innen mit 898. An vielen Orten ist der Dienst von Ruheständlern fest eingeplant. Die EKM hat ein Portal „Zeit zu verschenken“ eingerichtet, um Ruheständler und Gemeinden, die eine Vertretung suchen, zusammenzubringen. Noch halten sich die Ruheständler allerdings zurück. Für diejenigen, die auf den Ruhestand zugehen, finden Orientierungstage in den letzten Amtsjahren statt. Für Ruheständler gibt es außerdem Fortbildungsmöglichkeiten. Die Frage, ob diese auch für uns in Frage kommen, blieb unbeantwortet.

Im Anschluss berichtete Hermann de Boer ausführlich über das vergangene Jahr in der EZG. Auch wenn Krieg, Energiekrise, galoppierende Preise, Corona und der Klimawandel unser Leben nachhaltig verändert haben, war 2022 für die EZG ein ziemlich normales Jahr. 42 Gastdienste konnten vereinbart werden, davon 30 in der Ev. Kirche Mitteldeutschland, leider nur neun in der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und drei im Sprengel Mecklenburg der Nordkirche. 31 Mitglieder der EZG haben diese Dienste geleistet, einige waren mehrfach im Einsatz. Auffällig war, dass es bei der Unterbringung der Gastdienstleistenden weiterhin zu Problemen kommt. Mindestens zwei Unterkünfte waren im Grunde unzumutbar. Mit Nachdruck hat Hermann de Boer alle Mitglieder der EZG gebeten, sich immer wieder zu prüfen, wann es Zeit ist aufzuhören. Denn die Gemeinden müssen darauf vertrauen können, dass ein Gastdienstleistender der EZG physisch und psychisch in der Lage ist, seinen Dienst verantwortungsvoll wahrzunehmen.

Am Freitag, 21. Oktober, haben wir in Erfurt die Alte Synagoge, eine der ältesten Synagogen Europas, besucht. In zwei Gruppen wurden wir durch das heutige Museum geführt und haben viel erfahren über die wechselvolle Geschichte der Erfurter jüdischen Gemeinde. Besonders eindrucksvoll war der Erfurter Schatz mit Fundstücken aus dem 13. und 14. Jahrhundert. Auch eine mittelalterliche Mikwe, ein jüdisches Ritualbad, das erst 2007 von Archäologen entdeckt wurde, konnten wir besichtigen.

Am Nachmittag hat uns der ehemalige Pfarrer der Brüdergemeine in Neudietendorf, Pfarrer i.R. Theile, über die Geschichte und Gegenwart der Brüdergemeine informiert. Das Zinzendorfhaus und die angrenzende Brüderkirche wurden Mitte des 18. Jahrhunderts von der Herrnhuter Brüdergemeine erbaut, obwohl eine Niederlassung hier zunächst gar nicht geplant war. Die Brüdergemeine entstand als überkonfessionelle Glaubensbewegung aus der böhmischen Reformation. Im Mittelpunkt des Gemeindelebens stehen die Gottesdienste, „Versammlungen“ genannt. Da das Singen eine große Rolle spielt, findet jeden Samstagabend ein Liedgottesdienst mit Liedversen zu einem Bibelwort statt. Weltweit bekannt ist die Brüdergemeine bis heute durch die Losungen und den Herrnhuter Stern.

Eingangsbereich zur alten Synagoge

Am Samstag, 22. Oktober, stand ein Vortrag von Martin Heimbucher, ehemaliger Kirchenpräsident der Ev.-ref. Kirche, auf dem Programm: Sein Thema: „Christen und Juden: Persönliche Zugänge – Kirchliche Erfahrungen – Künftige Aufgaben“. Herr Heimbucher erinnerte zunächst daran, dass erst etwa 40 Jahre nach Kriegsende das Schweigen über die früheren jüdischen Nachbarn allmählich endete und erste Begegnungen mit Überlebenden möglich wurden. Es waren theologische Pioniere auf jüdischer und christlicher Seite, die Anfang der 60er Jahre den Aufbruch zu einem christlich-jüdischen Dialog wagten. Der Ort dafür waren vor allem die Deutschen Evangelischen Kirchentage. Im letzten Teil seines Vortrags ging Martin Heimbucher auf die gegenwärtige Aufgabe ein, in den Quellen unseres Glaubens die jüdische Nachbarschaft neu wahrzunehmen. Der grundlegende Satz laute: Jesus von Nazareth war kein Christ, er lebte und starb als Jude seiner Zeit. Und der zweite Satz laute: „Die ersten Christen waren Juden.“ (Klaus Wengst). Die Wiederentdeckung der jüdischen Nachbarn vor und nach der Schoah, so Heimbuchers Fazit, beschere dem christlichen Glauben eine heilsame Identitätskrise. Eine Neuformulierung unserer christlichen Identität sei notwendig und möglich geworden. Der Vortrag hat bei den Zuhörern viele Fragen und eigene Erfahrungen ausgelöst und damit die bleibende Bedeutung dieses Themas unterstrichen.

Zum Abschluss des Konvents wurden zwei Mitglieder des Vertrauenskreises neu gewählt: Eugen Müller und Manfred Rauer. Volkhard Dietrich und Rudolf Ficker sind nach vielen Jahren ausgeschieden. Auf dem Deutschen Ev. Kirchentag in Nürnberg vom 7. bis 11. Juni 2023 haben wir vor, mit einem Stand auf dem Markt der Möglichkeiten über die EZG zu informieren und möglichst neue Mitglieder zu gewinnen. Dazu suchen wir Freiwillige, die sich am Standdienst beteiligen.

Neudietendorf

Alles in allem hat sich Neudietendorf als ein anderer Ort für unseren Konvent sehr bewährt. Die Rückmeldungen waren außerordentlich positiv. Denkbar wäre, künftig die Konvente abwechselnd in Jerichow und in Neudietendorf stattfinden zu lassen.

Hermann de Boer